Der Führerschein

Es begab sich im Jahre 2011, dass es der marokkanischen Regierung gefiel, die Straßenverkehrsordnung (Code de route) zu ändern. Die Strafen für Verkehrsübertretungen wurden drastisch erhöht, und es wurde ein Punktesystem eingeführt, ähnlich dem in Deutschland. Man will mit diesen Maßnahmen dem alltäglichen Wahnsinn auf Marokkos Straßen Einhalt gebieten, um die außerordentlich hohen Zahlen an Verletzten und Toten zu senken, ein für sich gesehen löbliches Unterfangen, dem bislang allerdings wenig Erfolg beschieden ist.

Das liegt zum guten Teil an der hohen Empfänglichkeit der marokkanischen Polizei für Geldspenden, zum anderen an der natürlichen Abscheu des Marokkaners vor Regeln, vor allem solchen, die ihn behindern.

Wie dem auch sei, durch diese Änderung müssen nun auch Ausländer, die in Marokko leben und eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, einen marokkanischen Führerschein vorweisen können. Es gibt zwei Möglichkeiten:

1. Eintausch des europäischen Führerscheins gegen einen marokkanischen

oder

2. Fahrschule und Neuerwerb.

Möglichkeit Nr.1 schied für mich aus, da es kein entsprechendes Abkommen zwischen Deutschland und Marokko gibt und ich außerdem als „Wanderer zwischen den Welten“ meinen deutschen Führerschein behalten muss. Blieb nur der Neuerwerb.

Ich ging also in eine Fahrschule in meiner näheren Umgebung, um mich als Fahrschüler einzuschreiben. Damit begann, wie in Marokko üblich, ein nicht unerheblicher bürokratischer Aufwand. Als Erstes musste ich ein umfangreiches Dossier erwerben, das aus vielen einzelnen Dokumenten bestand, deren Sinn sich mir nicht auf Anhieb erschloss. Zunächst bestand jedoch das Problem darin herauszubekommen, wo denn dieses Dossier erhältlich war. Ich fragte also in der Fahrschule nach. Bedauerlicherweise sprach man dort nur gebrochen Französisch, ich erfuhr immerhin, dass das Dossier gegenüber von „travaux publics“ erhältlich sei. Ich hatte keine Ahnung, wo das ist (erst später stellte sich heraus, dass es sich hier um die Zulassungs- und Führerscheinstelle handelte, eine Institution, die mir seit der Zulassung unseres Autos in unguter Erinnerung ist). Außerdem benötigte ich einen Sehtest sowie diverse Stempel und Steuermarken. Ich sah meine einzige Chance, diesen Parcours zu bewältigen, in der Anheuerung von Si Mohammed, jenem Taxifahrer, der uns zum Flughafen bringt, wenn wir Fès verlassen. Dann ging es recht schnell, ich kaufte für 15DH das Dossier, holte auf der Führerscheinstelle den nötigen Stempel und kaufte in der „Trésorerie Royale“ in der Nähe von Fès – Atlas eine Steuermarke nebst Stempel auf einem Dokument (150DH). Auf zum Sehtest. Der Sehtest wurde in einem Krankenhaus durchgeführt. Eine Riesenschlange wartete bereits vor dem Gebäude, sie hatten schon alle eine Nummer erhalten, um die Reihenfolge festzulegen. Ich hätte Stunden gewartet und beschloss, am nächsten Tag zeitig zu erscheinen, um nicht so lange warten zu müssen. Ich wusste nun, wo ich hinmusste und entlohnte Si Mohammed aus tiefer Dankbarkeit fürstlich. Ich erschien am nächsten Tag kurz vor 9:00h, vorher öffnet in Marokko nichts, aber da stand sie schon wieder: die Schlange der Wartenden mit Nummern, auch stand da ich, allerdings ohne Nummer. Nun gibt es in Marokko in der Regel zwei Möglichkeiten, um in den Genuss einer Dienstleistung zu gelangen: warten oder zahlen. Ich entschied mich für Letzteres, legte einen Geldschein ins Dossier und erklärte dem Aufseher höflich, dass ich etwas knapp an Zeit wäre und sehr dankbar, wenn er das Verfahren etwas beschleunigen könnte. Er warf einen kurzen Blick ins Dossier und wenige Minuten später saß ich beim Sehtest. Man reichte mir ein rundes Pappschild am Stiel, mit dem ich mir erst das eine, danach das andere Auge abdecken musste. Die Aufgabe bestand darin, in einer Reihe von Pfeilen auf einer Tafel die Richtung des Pfeiles zu erkennen. Zwei Minuten später hatte ich den Stempel mit dem Vermerk „muss Brille tragen“.

Als letzte Hürde blieb der Kauf einer Steuermarke von 300DH. Diese Marke war nun nicht etwa auch bei der Trésorerie Royale in Fès – Atlas erhältlich, nein, diese Marke gab es in der Trésorerie Royale in der Avenue Hassan II. Stolz präsentierte ich mein komplettes Dossier in der Fahrschule. Man schien zufrieden mit mir.

Wie in Deutschland auch besteht die Führerscheinprüfung in Marokko aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Folglich erschien ich den nächsten zwei Wochen täglich in der Fahrschule, um mich auf die Prüfungsfragen vorzubereiten. Diese gab es in drei Geschmacksrichtungen: Hocharabisch, Dialektarabisch und, alhamdulillah, in Französisch.  Ich muss sagen, das war wirklich professionell gemacht, die Fragen wurden per PC gestellt, zur Beantwortung bekam man ein kleines Kästchen ähnlich einer Fernbedienung in die Hand gedrückt, Antwortmöglichkeiten A – D, multiple choice, mehrere richtige Antworten möglich. Die Fragen waren fair und der Realität auf marokkanischen Straßen angepasst. (Oh, würden sich die MarokkanerInnen nur daran halten!) Aber es war gut zu üben, man sagte mir, dass die arroganten Franzosen auf Grund mangelnder Vorbereitung regelmäßig durch die Prüfung rasselten.

Vorher jedoch musste ich Fahrstunden nehmen. Lustig ist die Austattung der Fahrschulfahrzeuge. Sie verfügen über ein zweites Lenkrad für den Fahrlehrer! Der Fahrlehrer hatte zwischenzeitlich begriffen, dass ich bereits einen europäischen Führerschein besitze und beschränkte sich darauf, mich für den Ablauf der praktischen Prüfung zu trainieren. Diese bestand darin, durch einen aus rostigen Stahlstangen, die hin und wieder rot-weiß überlackiert wurden, aufgestellten Parcours fehlerfrei zu navigieren: zwischen zwei Stangen einzuparken, zu wenden und auf einen Seitenstreifen zu fahren, denselben rüchwarts zu verlassen und dann das Fahrzeug vorwärts zwischen vier Stangen zu platzieren, die eine Garage simulieren sollten. Danach rückwärts wieder raus. Fertig. Zum Tag der Prüfung durfte man dann noch ein Stück mit dem Prüfer durch die Gegend fahren.

Als ich mir sicher war, die geforderte Anzahl richtiger Antworten (30 von 40) zu geben, meldete ich mich zur Prüfung an. Leider stellte man da fest, dass bei Erteilung der Steuermarke für 300DH mein Nachname falsch geschrieben war, also zurück in die Hassan II, um das korrigieren zu lassen. Ich meldete mich montags an, die Prüfung sollte am Mittwoch stattfinden. Am Dienstagnachmittag erfuhr ich über den Aushang an der Führerscheinstelle, dass mein Prüfungstermin um 8h war, eine Uhrzeit, zu der ich normalerweise nicht mal geduscht bin. Ich verzichtete am Abend weitgehend auf Alkoholkonsum und begab mich am nächsten Morgen im Halbschlaf zur Prüfung.

Es wurden die Namen der Kandidaten aufgerufen und man musste das Dossier mit Fingerbdruck (sic!) quittieren. Ich bekam eine Nummer zugeteilt, begab mich in den Prüfungsraum und nahm auf dem entsprechend nummerierten Stuhl Platz, auf dem bereits das Kästchen zur Beantwortung der Fragen lag. Auf einer Leinwand gut sichtbar wurden die Prüfungsfragen gestartet und ich drückte fleißig. Am Ende gab ich mein Kästchen ab, es wurde ähnlich einem Telefonhörer auf einen Apparat gelegt, et voilà, für alle gut sichtbar erschien das Ergebnis auf der Leinwand. Ich musste mich nicht schämen. Dann ging`s zum Fotografieren, dieses Foto (digital) wurde dann nach Rabat geschickt, um es auf den Führerschein im Scheckkartenformat zu drucken. Wofür die zwölf Analogfotos benötigt wurden, die ich anfertigen lassen mußte, erschloss sich mir nicht.

Nachmittags dann die praktische Prüfung, die erwartungsgemäß keine Probleme darstellte, der Prüfer fragte, ob ich schon eine europäische Fahrerlaubnis besäße. Darauf war die Prüfung beendet. Zwei Tage später konnte ich meine vorläufige Fahrerlaubnis abholen, sie ist zwei Monate gültig, dann ist, inscha`allah, die endgültige Version aus Rabat angekommen.

Fazit: ca. 3000DH ärmer, aber um jede Menge Erfahrung mit marokkanischer Bürokratie reicher. Ach ja: einen marokkanischen Führerschein habe ich jetzt auch.